Work in Progress begrenzen

Work in Progress Begrenzungen

Die Begrenzung von WIP (Work in Progress) ist ein wichtiger Aspekt von Kanban, der entscheidend dafür ist, wieso die Methode so gut funktioniert. Das mag zunächst widersprüchlich erscheinen. Weisen wir die Mitarbeiter damit etwa tatsächlich an, weniger zu arbeiten? Nein – die Begrenzung von WIP bedeutet nicht, das allgemeine Arbeitspensum zu drosseln. Stattdessen geht es darum, zu begrenzen, wie viele Aufgaben gleichzeitig angefangen werden.

Was ist Work in Progress?

Kanban stammt aus der Produktion. Hersteller nutzen für gewöhnlich ein Produktionsinventar: Eine Liste aller Arten von Materialien und Gegenständen, die für den Prozess auf Lager sein müssen:

  • Rohstoffe: Baustoffe, die noch nicht bearbeitet wurden.
  • Work in Progress: Materialien, die bereits zum Teil bearbeitet wurden und auch als Halbfabrikate bezeichnet werden.
  • Endprodukte: Materialien, die bereits fertig bearbeitet wurden und verkauft werden können.

Wieso gilt die Begrenzung von WIP als positiv? Ist das wirklich eine gute Idee?

Der Hauptgrund dafür, dass WIP-Grenzen einen positiven Einfluss auf einen Arbeitsablauf haben, ist die Beschleunigung der Aufgabenerledigung: Sowohl die Vorlauf- als auch die Durchlaufzeiten werden aufgrund mehrerer Faktoren reduziert. Ein ganz entscheidender Grund war jedoch buchhalterischer Natur, wie Sie im folgenden Beispiel sehen werden.

Beispiel Betrachten wir die WIP-Grenzen bei einem kleinen Softwareentwicklerhaus: Ein vierköpfiges Team nimmt die Kundenanforderungen/User Storys auf, konzeptioniert und verifiziert das Design, schreibt den Code, testet ihn und stellt ihn dem Kunden zur Nutzung bereit. Normalerweise veröffentlichen sie etwa 20 Storys pro Monat. Aber neben den 20 implementierten Funktionen gibt es noch etwa zehn Elemente, die teilweise fertiggestellt sind und sich in verschiedenen Bearbeitungszuständen befinden.

Obwohl diese halbfertigen Elemente nicht geliefert werden können, kann die Buchhaltung des Unternehmens sie nicht einfach ignorieren, da dies keine genaue Darstellung der im Monat geleisteten Arbeit wäre. Daher akzeptieren die Buchhalter die unfertigen Posten als eine Art Vermögenswert und verbuchen ihn als Haben. – Wir sehen, wie sinnvoll das sein kann.

Manche Unternehmer glauben, je mehr WIP sie haben, desto besser. Sie vertrauen darauf, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie diese verkaufen werden – also werden halbfertige Arbeiten zu Recht als Vermögenswert ausgewiesen. Das Problem ist nur: Was passiert, wenn sich die Bearbeitungsdauer immer weiter erhöht? Was, wenn es Probleme mit dem Betrieb bestimmter Funktionen oder der Produktintegration gibt und diese WIP-Arbeitspakete nie freigegeben werden? Ist es dann immer noch sinnvoll, sie als Vermögenswerte zu betrachten? Liefern sie einen Mehrwert für das Softwareunternehmen?

Wahrscheinlich haben Sie andere schon mal sagen hören „Geld regiert die Welt“ – und in vielen Fällen mag das auch stimmen. Unternehmen gehen häufig aufgrund eines schlechten Cashflows pleite. Über wie viele Assets ein Unternehmen verfügt, ist dabei nicht immer wichtig – zumindest, sofern es diese nicht in Geld umwandeln oder auf andere Weise Geld generieren kann. Kommt es tatsächlich zum Bankrott, dann werden sämtliche Assets weit unter Wert verkauft.

Das ist das Problem mit Work in Progress. Zu erkennen, dass es sich bei WIP um ein Asset handelt, ist eine Sache. Gleichzeitig kann dieses Halbfabrikat allerdings nicht verkauft werden. Niemand möchte schließlich einen halbfertigen Stuhl besitzen und wenn doch, dann wird erwartet, dass er sehr viel weniger als ein fertiges Produkt kostet.

Eli Goldratt, ein erfolgreicher Unternehmer und Management-Guru, argumentiert, dass Work in Progress daher nicht als Asset, sondern als Ausgabe angesehen werden sollte. Schließlich würde niemand ein Unternehmen gründen, um „Arbeit zu haben“, sondern um Profit zu machen. Und die einzige Möglichkeit, Profit zu machen, besteht darin, ein Produkt zu verkaufen und sicherzustellen, dass die Herstellungskosten geringer als die Gesamteinnahmen ausfallen. Goldratt hat daher ein Konzept namens „Throughput Accounting“ (Durchsatzbuchhaltung) entwickelt.

Dieses Konzept konzentriert sich auf den Durchsatz (die Geschwindigkeit, mit der ein Gegenstand hergestellt und geliefert werden kann), das Inventar und die Betriebskosten als die drei Hauptmaße für Produktivitätseinschränkungen. Seine Theorie wird in seinem Buch “The Goal” beschrieben und stellt die Grundlage seines Systems dar, das auch als “Engpasstheorie” bezeichnet wird. Unternehmen, die dieses System implementiert haben, profitieren von dramatischen Verbesserungen.

Wieso sollten wir Work in Progress begrenzen?

1. Förderung einer Kultur der Fertigstellung von Arbeiten, Verkürzung der Markteinführungszeit und Minimierung von Risiken

Ihr Profit liegt in fertigen Gütern, nicht in WIP. Führen Sie ein Unternehmen mit begrenztem Budget, dann sollten Sie sich daher die folgende Frage stellen: Was ist Ihnen lieber? 30 halbfertige oder 10 fertige Produkte? Es ist immer besser, sich auf die Realisierung von 10 User Storys zu konzentrieren und diese fertigzustellen. Genau dabei kann Ihnen die Begrenzung der Work in Progress behilflich sein. Kann ein Unternehmen pro Monat lediglich 10 Produkte verkaufen, dann gibt es keinen Grund, an 30 zu arbeiten. Die Begrenzung der WIP würde daher darin bestehen, sich darauf zu konzentrieren, genau diese 10 Produkte fertigzustellen. Begrenzen Sie die WIP, dann fällt es Ihnen somit leichter, die angefangenen Arbeiten auch tatsächlich abzuschließen. Und je schneller Sie die Arbeit beenden können, desto schneller können Sie sie an den Kunden liefern und in Rechnung stellen.

Was die Auswirkung von WIP-Grenzen auf die Reduzierung des Projektrisikos angeht, so stellen Sie sich vor, dass es unmöglich ist, die Kompatibilität mehrerer Elemente mit dem Arbeitsprodukt und untereinander zu testen, wenn diese gleichzeitig in Arbeit sind. Daher besteht ein hohes Risiko, dass das Team alle neuen Komponenten nacharbeiten muss, anstatt nur die neu fertiggestellte Komponente zu testen und in das fertige Produkt zu integrieren.

Darüber hinaus erleichtert ein begrenzter WIP auch die Bearbeitung von Eilaufträgen und kann dazu führen, dass diese weniger häufig vorkommen! Wenn ein Problem auftritt, hält ein Team, das an drei Features arbeitet, diese an und geht das Problem an. Es werden also nur drei Aufgaben leicht verzögert. Hätten sie 20 Elemente in Bearbeitung gehabt, wären alle 20 angehalten und verzögert worden. Und je mehr verzögerte Elemente eine Pipeline hat, desto wahrscheinlicher ist die Bereitschaft, die Arbeit zu beschleunigen, um wenigstens ein Element schnell zu erledigen, anstatt weiter zu warten. Deshalb ist es weitaus besser, sich auf die Einhaltung kurzer Zykluszeiten zu konzentrieren, oft und schnell zu liefern und weniger Aufgaben zu bearbeiten. Ein solcher – wirklich agiler – Ansatz macht Ihren Workflow sowohl nachhaltig als auch anpassungsfähig für Veränderungen.

2. Minimierung von Multitasking, Chaos, Leerlauf und Besprechungen

Die Begrenzung des WIP hilft Ihnen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Chaos zu bewältigen. Würde ich Ihnen einen Ball zuwerfen, dann könnten Sie ihn problemlos auffangen. Auch einen zweiten würden Sie wahrscheinlich fangen. Würde ich Ihnen diese beiden Bälle allerdings gleichzeitig zuwerfen, dann würden Sie entweder beide fangen oder beide fallen lassen. Wie wäre es nun allerdings, wenn zehn Bälle gleichzeitig auf Sie zufliegen? In diesem Fall landen wahrscheinlich alle auf dem Boden und es würde völliges Chaos herrschen. Dasselbe Problem besteht auch beim Multitasking – Sie können entweder an ein oder zwei Aufgaben arbeiten und sie relativ schnell erledigen oder sich mit 10 beschäftigen und am Ende nichts erledigen. Oder mit anderen Worten: Sie fangen entweder zwei Bälle oder lassen 10 fallen.

Durch eine Begrenzung des WIP wird Multitasking erschwert, und zwar sowohl auf der persönlichen Ebene als auch auf der des gesamten Teams. Der Grund, warum die gleichbleibende Konzentration auf eine Aufgabe gegenüber dem ständigen Hin- und Herwechseln zwischen vier Aufgaben ein insgesamt qualitativ besseres Arbeitsergebnis ergibt, dürfte offensichtlich sein. Der Aufbau eines Kanban-Boards mit WIP-Grenzen wirkt auch einen Leerlauf bei der Belegschaft entgegen – solange im Backlog ein ausreichender Arbeitsvorrat für alle Teammitglieder vorhanden ist.

Ein zusätzlicher Aspekt bei der WIP-Begrenzung ist die Möglichkeit, die Anzahl der diversen Projekte, an denen das gesamte Unternehmen arbeitet, zu kontrollieren, indem man festlegt, wie viele Projekte jedes Team gleichzeitig bearbeiten darf. Durch diese mehrschichtigen Einschränkungen können Sie sicherstellen, dass Führungskräfte wissen, wie viel Arbeit bewältigt werden kann und welche Kosten für andere Projekte anfallen können, wenn Mehrarbeit notwendig ist. Im Zusammenhang mit der Begrenzung der Projektanzahl zu einem bestimmten Zeitpunkt gilt: Je weniger Projekte ein Mitarbeiter hat, desto weniger Besprechungen muss er besuchen – eine weitere Reduzierung von Verschwendung! Hinzu kommt, dass die visuelle Natur des Kanban-Boards die Bedeutung von regelmäßigen Status-Meetings verringert, denn alles, was Sie über ein Projekt wissen müssen, steht bereits auf dem Board. So können Sie u. U. mit nur einem oder zwei monatlichen Sitzungen auskommen.

3. Maximierung des Durchsatzes und Gewährleistung eines wahren Pull-Prozesses

Arbeiten Sie nur an den Aufgaben, die Sie auch erledigen können, dann stellen Sie den größtmöglichen Materialdurchsatz sicher. Das bedeutet weniger Verschwendung und mehr Verkäufe. Halten Sie Ihr Team zudem dazu an, nicht an neuen Aufgaben zu arbeiten, solange die alten noch nicht fertig sind, dann implementieren Sie einen echten Pull-Prozess. Schließlich werden so keine Arbeiten einfach in den Prozess geschoben – egal ob sie zu bewältigen sind oder nicht. Stattdessen lassen Sie Ihr Team die neuen Arbeiten in den Prozess hereinziehen, sobald es bereit für sie ist.

Die Maximierung des Durchsatzes wird die Zykluszeit sichtbar verkürzen, also die Zeit, die ein Element braucht, um von „Begonnen“ nach „Fertig“ zu gelangen. Das führt wiederum dazu, dass Sie regelmäßig neue Versionen liefern können.

WIP-Grenzen können eine große Hilfe bei der Verringerung der Größe von Produktbatches/Sprints sein. Wenn sich Teams darauf einigen, an nicht mehr als, sagen wir, einer Aufgabe pro Person zu arbeiten, führt dies automatisch dazu, dass der Projektmanager nicht mehr als eine bestimmte Anzahl von Aufgaben pro Sprint bzw. Batch plant. Natürlich muss das nicht zwangsläufig so funktionieren, und WIP-Grenzen allein sorgen nicht für kleinere Losgrößen, aber sie helfen, diese möglichst kleinzuhalten

WIP-Begrenzungen und die Identifizierung von Engpässen

Wie Sie sehen, hat die Begrenzung von WIP zahlreiche Vorteile. Wenden wir die WIP-Begrenzungen allerdings auf den gesamten Prozess an, dann kann es zu verschiedenen Problemen kommen. Eine Begrenzung an der falschen Stelle kann schnell zu großer Verschwendung führen. Wenn ein Manager den „Work in Progress“ auf schlechte Weise begrenzt, könnte dies dazu führen, dass das Unternehmen weniger Artikel produziert, als es eigentlich könnte. Auch hierbei würde es sich um Verschwendung handeln, was Taichi Ōno nicht befürworten würde. Wie können wir nun also festlegen, an welcher Stelle des Prozesses der Work in Progress begrenzt werden sollte?

Entscheidung über die richtige WIP-Grenze durch Auffinden des eigentlichen Engpasses

Beispiel

Ein Software-Entwicklungsteam besteht aus vier Personen:

  1. John finalisiert die User Storys des Kunden und konzeptualisiert sie zu Features.
  2. Anton und Alice schreiben den Code.
  3. Peter testet den Code und gibt ihn frei.

John wählt jede Woche zehn User Storys aus und liefert sie ab. Anton und Alice können in der Regel acht pro Woche codieren, und Peter kann etwa sechs Elemente pro Woche testen. Somit kann das Team sechs Features pro Woche veröffentlichen – das ist sein Durchsatz.

Wenn das Team aber angewiesen wurde, mit höchster Kapazität zu arbeiten, wie würde die Situation am Ende der Woche aussehen? Wir gehen davon aus, dass jedes Teammitglied genug Arbeit hat, um ohne Verzögerung mit der Arbeit zu beginnen. Schauen wir mal, wie sich das entwickeln könnte:

Beispiel für WIP-Begrenzungen

Denken Sie daran, dass halbfertige Arbeitspakete Bestandsposten sind. Wir erkennen große Stapel an User Storys in den Phasen „Für die Verarbeitung geprüft“ und „Bereit zum Testen“. Aber warum stapeln sich die Arbeitspakete dort? Weil der Tester der Engpass des Prozesses ist, der nur sechs verifizierte Releases pro Woche fertigstellen kann.

Ein Agile-Manager würde hier die Programmierer darauf einschränken, nicht mehr als sechs Elemente pro Woche zu produzieren. Denn alles, was darüber hinausgeht, wäre Verschwendung und der Prüfer kann das Tempo nicht bewältigen. Möglicherweise könnten John, Anton und Alice auch einspringen und Peter beim Testen helfen, sobald sie mit ihren Aufgaben fertig sind. Dies würde den Durchsatz des Prozesses verbessern. Vielleicht gibt das Unternehmen so plötzlich mehr als sechs Features pro Woche frei, und das Engagement der Mitarbeiter verbessert sich zusammen mit dem Durchsatz.

Wie sollte eine WIP-Begrenzung implementiert werden?

Um eine angemessene WIP-Begrenzung für Ihren Prozess zu implementieren, müssen Sie ihn daher zunächst analysieren und den Engpass identifizieren.

Schritt 1: Nehmen Sie den Prozess unter die Lupe und identifizieren Sie Engpässe

Besichtigen Sie zunächst Ihre Fabrik bzw. Ihr Büro. Schauen Sie sich nach Teammitgliedern um, die überlastet sind und viele Aufgaben auf ihren Schreibtischen oder ihren visuellen Boards haben. So werden Sie in null Komma nichts den Engpass finden!

Schritt 2: Passen Sie die WIP-Begrenzung an die Kapazität des langsamsten Prozessschrittes an

Unterhalten Sie sich mit dem Team, das am Engpass-Schritt arbeitet, und finden Sie heraus, wie Sie die Arbeit für diese Mitarbeiter begrenzen können. Auf diese Weise helfen Sie Ihrem gesamten Unternehmen, schneller zu arbeiten, und Ihre Mitarbeiter werden Sie dafür lieben.

Schritt 3: Analysieren Sie regelmäßig den Arbeitsablauf mit den bestehenden WIP-Begrenzungen

Während sich Ihr Prozess verändert, vergrößert oder verkleinert, verändert sich auch Ihr Team. Die WIP-Begrenzung muss daher regelmäßig geprüft und unter Umständen entsprechend angepasst werden. Behalten Sie die Begrenzung daher stets im Auge, um einen optimalen Durchsatz aufrechtzuerhalten.

Resümee

Die Begrenzung der halbfertigen Arbeitspakete ist ein ebenso einfaches wie effizientes Konzept. Probieren Sie es doch einmal mit Ihrem Team aus – oder auch nur für Ihren eigenen Workflow. So werden Sie die Vorteile aus erster Hand erfahren. Zusammenfassend lässt sich sagen: Indem Sie die Anzahl der Aufgaben, an denen Sie gleichzeitig arbeiten, einschränken, ergeben sich potenziell die folgenden Vorteile:

  • Schnellere Aufgabenerledigung – reduzierte Vorlauf- und Zykluszeiten, maximierter Durchsatz
  • Schnellere und nachhaltigere Produktauslieferungsraten
  • Geringeres Projektrisiko und schnellere Identifizierung von Engpässen
  • Weniger Multitasking, weniger Leerlauf der Mitarbeiter
  • Kleinere Losgrößen, weniger Besprechungen und bessere Kontrolle über alle Projekte des Unternehmens